Nationalparkaustritt? – der Ast, auf dem wir sitzen…

Pressemitteilung Nr. 19 vom 11.10.2018

Wieder einmal wurde von der Insel Baltrum mit einem unvermittelt ins Leben gerufenen neuen Thema eine Debatte befeuert, die nicht nur hier an der Küste die Gemüter erregt. Von den Medien dankbar angenommen unterhalten wir uns jetzt selbst auf Norderney öffentlich und ungeniert darüber, ob wir aus dem Nationalpark austreten wollen.
 

Zunächst sei der guten Ordnung halber festgestellt, dass die ostfriesischen Inseln kraft eines Landesgesetzes, dem Gesetz über den Nationalpark „Niedersächsisches Wattenmeer“, zu eben diesem Nationalpark gehören und damit den besonderen Schutzbestimmungen unterliegen. Der Vorschlag, aus eben einem solchen Gesetz einfach auszutreten, könnte die Vermutung nahelegen, dass den Inseln eine solche Option eingeräumt worden ist. Dem ist aber nicht so. Genauso wenig, wie die Kommune Norderney aus dem Landkreis Aurich austreten kann oder sich der Straßenverkehrsordnung nicht mehr verpflichtet fühlt, kann sie aus dem Nationalparkgesetz austreten. Rein formell müsste der Landtag dafür in einem aufwändigen Gesetzgebungsverfahren das Nationalparkgesetz ändern. Um überhaupt in ein solches Verfahren einzusteigen, sollten schon sehr triftige und überzeugende Argumente vorgebracht werden.
  

Seit nunmehr 32 Jahren gibt es den Nationalpark Wattenmeer. Die Anfänge gestalteten sich wahrlich nicht leicht. Der Küstenraum und insbesondere die Inseln wurden über Jahrhunderte durch die hier lebenden Menschen gestaltet und geprägt. Erst diese Menschen haben unsere Lebensräume bewohnbar gemacht. Die rasante wirtschaftliche Entwicklung, steigende Gästezahlen, neue Formen der Energiegewinnung und vieles mehr führten zum Ende des letzten Jahrhunderts dazu, den Blick für die einmalige Naturlandschaft zu schärfen und die uns umgebende Landschaft mit ihren Werten stärker ins Bewusstsein zu rufen. Der Nationalparkgedanke war anfangs auf große Skepsis und mitunter Widerstand gestoßen. Ein Gefühl der Bevormundung und Unterdrückung machte sich breit.

Drei Jahrzehnte später dürfen wir feststellen, dass der Naturschutz einen anderen, einen ausgesprochen hohen Stellenwert in unserer Gesellschaft bekommen hat und der Nationalpark von einem breiten gesellschaftlichen Konsens getragen wird, der für uns außerdem eine große touristische Bedeutung hat. Ohne den Nationalpark sähe unsere Landschaft heute anders aus, so, wie sie sich niemand vorstellen möchte. Die Ernennung durch die UNESCO zum Weltnaturerbe Wattenmeer war auch nur deswegen möglich. Mit unserem Welterbe-Besucherzentrum am Hafen haben wir in Niedersachsen einen wichtigen Informations- und Bildungsauftrag und damit auch Verantwortung übernommen.

 

Ein enges Miteinander der unterschiedlichen Akteure und Interessensgruppen ist aber weiterhin unabdingbar, um auch künftig Naturschutz und „Lebensraum Mensch“ miteinander zu verzahnen und keine Seite unangemessen zu benachteiligen. Es bedarf sinnvoller und tragfähiger Kompromisse, damit gerade solche schädlichen Diskussionen, womit der Nationalpark an sich in Frage gestellt wird, vermieden werden.
 

Auch als Bürgermeister spreche ich mich gegen eine Überregulierung und einseitige Vorgaben aus, die die Inselbewohner mehr als vermeidbar in ihren Rechten und unter Nichtachtung der historischen Entwicklungen benachteiligen. Im Einzelfall gab und gibt es durchaus Entscheidungen und Direktiven, mit denen man keinesfalls einverstanden sein muss.
 

Der konstruktive Dialog hat in den letzten Jahren aber überwiegend zu guten Ergebnissen geführt. Darüber hinaus wurde der Nationalpark wie auch das Weltnaturerbe Wattenmeer tourismusfreundlich in die Zukunft entwickelt, wovon die Insel sehr profitiert hat.
 

Für Norderney wurden die neuen Jagdpachtverträge im Einvernehmen mit der Jägerschaft unlängst unterzeichnet. Das Gleiche gilt für die meisten Nachbarinseln. Wenn auch auf Ebene der Ministerialbürokratie geteilte Auffassungen und öffentliche Missfallens-Bekundungen mangels eigener interner Abstimmung die Runde machen, sollte uns das nicht dazu verleiten, an unseren Grundfesten zu rütteln und mit der Holzhammermethode an dem Ast zu sägen, auf dem wir alle sitzen.
 

 

Frank Ulrichs

Bürgermeister